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Zoonosen
Zahlreiche Infektionskrankheiten werden durch Erreger verursacht, die direkt oder indirekt zwischen Tieren und Menschen übertragbar sind. Wir kennen heute über 200 Krankheiten, die bei Mensch und Tier vorkommen, wechselseitig übertragen und durch Viren, Bakterien, Pilze, Protozoen, Helminthen oder Arthropoden verursacht werden. 1958 definierte ein Expertenkomitee der WHO Zoonosen als "Krankheiten und Infektionen, die auf natürlichem Wege zwischen Wirbeltieren und Menschen übertragen werden". Diese Definition ist unverändert gültig.
Unter Zoonosen wurden ursprünglich Tierkrankheiten verstanden. Während des vorletzten Jahrhunderts wandelte sich die Bedeutung des Begriffs. So versah R. Virchow 1855 im Handbuch der Speciellen Pathologie und Therapie das Kapitel Infectionen durch contagiöse Thiergifte mit dem Untertitel Zoonosen. In dem von W. Probstmayer 1863 herausgegebenen Etymologischen Wörterbuch der Veterinärmedizin und ihrer Hilfswissenschaften erhielt das Wort Zoonosen erstmals eine doppelte Bedeutung: Zoonosen sind erstens eigentliche Tierkrankheiten, zweitens Krankheiten der Menschen, welche auf dieselben vermittels eines Contagiums von Tieren übertragen werden.
Beim heutigen Gebrauch des Wortes Zoonosen wird kein Unterschied hinsichtlich der Richtung des Übertragungsweges, d.h. von Tier auf Mensch oder von Mensch auf Tier, gemacht. Es fehlte aber nicht an Versuchen, durch entsprechende Formulierungen den Infektionsweg darzulegen. Als Zooanthroponosen bezeichnete man Infektionskrankheiten, die von Tier auf Mensch übertragen wurden. Mit dem Begriff Anthropozoonosen sollte die Richtung der Übertragung von Mensch auf Tier deutlich gemacht werden. Diese Krankheiten spielen im Vergleich zu den Zooanthroponosen zahlenmäßig eine untergeordnete Rolle.
Aufgrund neuerer epidemiologischer Kenntnisse kann heute in manchen Fällen die traditionelle Zuordnung einer Infektionskrankheit zu den Zoonosen nicht mehr aufrechterhalten werden. Krankheiten, deren Erreger keine Wirbeltiere als Reservoir erfordern, weil sie in Wasser, Boden, auf Pflanzen oder in Nahrungs- und Futtermitteln vorkommen und von dort aus auch Vertebraten infizieren können, werden als Sapronosen, Saprozoonosen oder Geonosen bezeichnet.
Zu den Zoonosen zählen seit Jahrhunderten bekannte, klassische Seuchen wie Tollwut, Pest und Gelbfieber, die trotz vieler Anstrengungen bis heute nicht bezwungen sind. In den vergangenen Jahren, z.T. erst in jüngster Zeit, wurden neue Erkrankungen als nosologische Einheiten erkannt und abgegrenzt, wie z.B. Lyme-Borreliose, Ehrlichiose, Infektionen mit enterohämorrhagischen Escherichia coli, Kryptosporidiose und Hantavirus-Lungensyndrom.
Die fortdauernde, mancherorts zunehmende Bedrohung des Menschen durch Zoonosen hat mannigfaltige Ursachen, denen von Land zu Land unterschiedliche Bedeutung zukommt:
Überbevölkerung in den Ländern der Dritten Welt, Kriege und Verelendung verursachen Wanderungsbewegungen unzähliger Menschen in die Slums der Großstädte, in denen Hygiene und öffentliche Gesundheitsfürsorge zusammenbrechen. Die Nähe ihrer Behausungen zu riesigen Müllhalden und Kloaken bringt die Menschen in unmittelbare Nähe zu Nagern, streunenden Tieren und deren Parasiten.
Nahrungsmangel zwingt Millionen Menschen zur Rodung der Wälder und Besiedlung neuer Ländereien, deren Tierpopulationen und Parasiten bisher außerhalb der Reichweite des Menschen lebten. Der Mensch kann dabei störend in unbekannte Erreger-Wirt-Zyklen eindringen und unvorhergesehen Glied neuer Infektketten werden. In vielen dieser Fälle ist der Mensch als Fehlwirt schlecht an die neue Erregerart adaptiert, was sich in einer hohen Letalität äußern kann.
Künstliche Bewässerungsanlagen verändern die Ökologie ganzer Länder. Stauseen und Wassertümpel locken von weither Tiere mit ihren Parasiten an und schaffen optimale Brutplätze, insbesondere für Stechmücken.
Die zunehmend warmen, feuchten Winter in der nördlichen Hemisphäre begünstigen die Vermehrung vor allem von Zecken.
Streunende, verwilderte, verwurmte, Zecken-infestierte Tiere sind nicht nur in den Ländern der Dritten Welt als Erregerreservoir gefürchtet.
Der weltweite Tourismus, insbesondere Trekkingtouren in entlegene Gebiete und Abenteuerwochen (Überlebenstraining mit Kampieren im Freien, Verzehr roher oder unzureichend erhitzter Nahrung), bringen den hygienisch unter fast aseptischen Bedingungen aufgewachsenen, immunologisch ungeschützten Menschen der Industrieländer in Kontakt mit Erregern und Vektoren, mit denen er bislang nicht konfrontiert wurde.
Niedrig virulente Zoonosenerreger können immungeschwächte, insbesondere HIV-infizierte Personen tödlich infizieren.
In der urbanisierten westlichen Welt leben Heim- und Kuscheltiere, insbesondere Hunde und Katzen, oft als Kindersatz, in immer mehr Haushalten in unmittelbarer Nähe des Menschen. Sie werden nicht selten geherzt oder geküsst oder schlafen im Bett der Halter und dürfen Gesicht und Wunden lecken. Viren, Bakterien, Pilze, Parasiten können unschwer übertragen werden.
Grenzüberschreitende Transporte von Zuchttieren und Schlachtvieh sind aufgrund oft unzureichender Tierseuchenüberwachung potentielle Infektionsquellen.
Durch legalen oder (schlimmer!) illegalen Import exotischer Tiere für zoologische Gärten, zu Forschungszwecken und für private Haltung können Krankheitserreger eingeführt werden.
Isolierte Tierorgane (Xenotransplantate) und Kulturen tierischer Zellen können gefährliche Zoonosenerreger enthalten.
Verschiedene Zoonosenerreger, wie z.B. Francisella tularensis, Yersinia pestis, Brucella spp., Bacillus anthracis, Coxiella burnetii und hämorrhagische Fieberviren, gelten als potentielle Biowaffen.
Das Problem der wechselseitig zwischen Tier und Mensch übertragbaren Krankheiten ist außerordentlich vielgestaltig, vor allem wenn man berücksichtigt, dass das Tier entweder als Erregerreservoir oder Zwischenwirt nicht selten klinisch inapparenter Keimträger und/oder -ausscheider sein kann.
60% der bekannten und 75% der neu aufgetretenen Infektionskrankheiten der Menschen sind Zoonosen (WHO).
Sicherlich werden in Zukunft weitere, derzeit noch nicht bekannte Zoonosen auf uns zukommen. Die Einführung neuer Methoden zum direkten oder indirekten Nachweis von Mikroorganismen trägt dazu bei, dass immer wieder neue Zoonosen entdeckt werden. Doch ist auch mit dem Auftreten gegenwärtig noch unbekannter Zoonosen zu rechnen, wenn der Mensch in neue, unbekannte Lebensräume vordringt und dabei bewusst oder unbeabsichtigt Umweltveränderungen verursacht.
Die möglichst enge Zusammenarbeit von Human- und Veterinärmedizinern ist unerlässlich, um Ätiologie und Epidemiologie, die oft komplizierten Entwicklungs- und Übertragungswege der Erreger und ihrer Vektoren, Krankheitsbilder, Diagnostik und Differentialdiagnose, Therapie und Prophylaxe von Zoonosen aufzuklären. Auf dieser langjährigen Zusammenarbeit, die seit kurzem auch unter dem Begriff " One World - One Health " postuliert wird, beruht unser Buch.
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